In Gips gegossene Entwürfe des ersten Semesters an der Architekturwerkstatt St. Gallen (Foto: Architekturwerkstatt St. Gallen)

Räume bewusst erschaffen

Fabiana Troy studiert an der Architekturwerkstatt in St. Gallen und erklärt in ihrem Campus-Beitrag, wie sie im ersten Semester entwerfen lernte.

Am Anfang eines architektonischen Bauwerks steht immer eine Idee. Doch wie gelingt es mir, mit dieser Idee funktionierende und schöne Räume zu schaffen? Um diese Frage beantworten zu können, muss ich zuerst den Begriff ‹Raum› verstehen. Der Raum ist das, was keine Masse ist. Die Luft zwischen dem Boden, den Wänden und der Decke. Im ersten Semester an der Architekturwerkstatt lernten wir, dass Architektur Räume erzeugt, deren Atmosphäre etwas in uns auslöst. Damit das nicht unbewusst geschieht, müssen wir uns als angehende Architektinnen und Architekten eine Methodik aneignen, mit der wir Räume bewusst erschaffen.

Ich gehe von einer fiktiven Person aus, entwickle eine Vorstellung ihres Lebensstils und frage mich, wie sie wohnen könnte. Dabei beziehe ich den Ort in der Stadt, die Raumabfolge im Gebäude und die Raumdimension mit ein. Meine Antworten übersetze ich in zweidimensionale Pläne und merke, dass ich die dritte Dimension frühzeitig mitdenken muss. Die Lichtführung, die Atmosphäre und die Verhältnisse werden so erst sichtbar. Deshalb schneide ich meine Räume in Styropor und füge sie zusammen. Aus der Masse wird so Raum, aus dem Raum wird Masse. Ich zwinge mich beides zu tun, denn das Negativ und das Positiv eines Modells liefern wichtige Erkenntnisse über die Raumqualitäten. Ich feile weiter am Modell. Das Haptische erweitert meine Sinne und fördert meine Gedanken. Meine Ideen werden konkreter. Der Raum verändert sich und die Intuition der ersten Idee wird zum bewussten Entwurf.

Das Negativ und das Positiv eines Modells liefern Erkenntnisse über die Raumqualitäten. (Foto: Demian Senn)

Um mein Projekt präsentieren zu können, schraube ich zuerst eine Schalung. Danach schneide ich den Raum aus Styropor im Positiv und befestige die Teile in der Form. Ich mische Gips mit Wasser und giesse die Masse in die Form. Nach einer kurzen Aushärtungszeit schale ich den Entwurf aus und korrigiere ihn bis das Negativ des Raums sichtbar wird.

Der Werkstattgedanke wird gemeinsam gelebt. (Foto: Angela Rüdisüli)

Noch heute denke ich oft an dieses erste Semester zurück. In der Zwischenzeit sind die Aufgabenstellungen komplexer und die Entwürfe grösser geworden. Rückblickend erkenne ich, dass ein architektonischer Entwurf immer ein Verhältnis zwischen Masse und Raum ist, das bewusst festgelegt werden muss.

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Kommentare

Andreas Konrad 24.01.2021 12:31
Richtige und gute Räume zu erschaffen gehört in die Abteilung « Pflicht » der Architektur, wie im oberen Beitrag eindrücklich zu sehen ist. Der Bewohner ist der Ausgangspunkt, um den sich die Grundidee des Hauses entwickelt. 99% der Menschen, die das Haus sehen, werden es jedoch nie betreten. Also ist es genauso wichtig, dem Haus eine Gestalt zu geben. Im modernistischen Kanon, dem technokratischen Funktionalismus verpflichtet, noch als « Tapetendekoration » verschrien, ist diese jahrhundertealte Disziplin wieder zum Leben erwacht. Denn die Moderne hat uns zwar helle Räume, aber trostlose Kisten hinterlassen - das Elend von « Gropius - Stadt » und seinen Verwandten. Die Fassade, dieser feingegliederte, raffinierte Auftritt, gehört zur Kür. Sie muss sich dem Ort unterwerfen, dem Nachbarn dienlich sein, sich nicht grotesk aufspielen, sondern die Umgebung adeln. Und wer die Pflicht, aber nicht die Kür beherrscht, darf sich meinetwegen Planer, aber niemals Architekt nennen.
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