Perfektionismus ist zeitintensiv Fotos: hfb.ch

Perfektionismus ist zeitintensiv

Ein Architekturstudent budgetiert fünf Stunden Arbeitsaufwand, ist dann aber faktisch zwölf Stunden an der Arbeit dran – und fertig geworden ist er nicht. Dafür gibt es einen Grund: Architekten sind Perfektionisten.

Wer kennt es nicht: Zeitpläne erstellt man praktisch nur aus dem einen Grund, um sie später über den Haufen zu werfen. Nach dem anfänglichen Füssehochlagern kann man aber wenigstens behaupten man hat nicht nichts gemacht – der Zeitplan steht ja. Mit einem Zeitplan seziert man zuerst die Aufgabenstellung und versetzt sich dabei in die Phase des Arbeitens. Man schätzt den Aufwand ab, setzt Schranken und definiert Meilensteine. Damit verschafft man sich in erster Linie ein gutes Gewissen. So weit, so gut, wird schon klappen. Da man sich selbst ja auch nichts Ungutes tun will, hat man bereits gezielte Pufferzonen eingebaut - doch eigentlich will man die zunächst gar nicht beanspruchen. In Tat und Wahrheit läuft es sowieso anders ab - ganz nach dem Motto «Erstens: Es kommt alles anders und zweitens: als man denkt.» Die zunächst gezielt gesetzten Puffer werden zur sicheren, hocheffizienten Zeitspanne. Das Freizeitprogramm rückt in der Prioritätenliste soweit nach hinten und selbst lebensnotwendige Dinge wie Essen, Trinken und Schlafen gehen vergessen oder werden mit dem Allerheilmittel Espresso nach dem Prinzip «3 in 1» heruntergespült. Nicht zum ersten Mal hat man soeben die Freundin/den Freund angerufen um ihr/ihm mitzuteilen, dass wohl nichts wird mit Nachtessen und Kino heute Abend.

Ein Tag hat 24 Stunden, davon sollte man je nach Bedarf fünf bis acht Stunden in Schlaf investieren, um nachhaltig in der Gesellschaft funktionieren zu können - doch wenn man keine Zeit hat, dann streicht man lieber den Schlaf. Wenn ich im Studium etwas gelernt habe: Für Projektarbeiten wird stets zu wenig Zeit budgetiert: Ein normaler Mensch budgetiert grosszügig zweieinhalb Stunden Arbeitsaufwand und braucht dann effektiv zwei Stunden, ein Architekt budgetiert für den gleichen Umfang fünf Stunden, ist dann aber faktisch zwölf Stunden an der Arbeit dran – und fertig geworden ist er ohnehin nicht. Dafür gibt es einen guten Grund: Architekten (dazu zähle ich auch Architekturstudenten) sind grösstenteils Perfektionisten. Optimierungen kennen keine (zeitlichen) Grenzen, und mit der Leidenschaft wächst der Optimierungsbedarf. Und wenn sich am Schluss noch unerwartet Platz für ein Feierabendbier findet, dann ist ja alles gut aufgegangen. Denn Feierabendbiere habe eine eigenartig positive Wirkung auf die Sicht der Dinge. Man ist müde, möchte eigentlich schlafen gehen, doch noch mehr möchte man seine getane Arbeit würdigen, sich etwas gönnen, und seinem Körper etwas gönnen, abschalten können. Hat man sein Bier dann getrunken kann man sich zur Ruhe legen. Für ein bisschen Durst löschen hat man zehn Franken bezahlt, die Schlafenszeit um eine weitere halbe Stunde verkürzt – doch gelohnt hat es sich allemal.

* Martin Höllrigl studiert im 6. Semester berufsbegleitend Architektur an der ZHAW in Zürich.

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Kommentare

Karl Koch 28.03.2014 15:45
Architekten sind Perfektionisten - aber vor Allem lernen sie bereits im Studium die Selbstausbeutung. Besonderer Einsatz ist nicht gleichzusetzen mit besonderem Ergebnis. Selbstverständlich steigt bei besonderem Einsatz die Chance auf ein besonderes Ergebnis. Nur wer bereits im Studium lernt, dass überstunden und wenig Schlaf zum Architektendasein dazugehören, schädigt am Ende den Berufsstand, wo im Allgemeinen besonderer Einsatz und besondere Leistung nicht besonders entlohnt wird.
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