Paul Klees Sehapparat von Sébastien El Idrissi, Sarah Gomez und Laura Augustin. Fotos: Hans Berlin

Paul Klees Sehapparat

Design-Student Sébastien El Idrissi hat am diesjährigen Sommer-Workshop des Bauhaus Dessau teilgenommen. Entstanden ist daraus das Objekt "Paul Klees Sehapparat", zusammen mit der Künstlerin Sarah Gomez und der Designstudierenden Laura Augustin. In seinem Campus-Beitrag träumt er sich in eine Bauhaus-Meisterklasse von Paul Klee zurück.

Design-Student Sébastien El Idrissi hat am diesjährigen Sommer-Workshop des Bauhaus Dessau teilgenommen. Entstanden ist daraus das Objekt "Paul Klees Sehapparat", zusammen mit der Künstlerin Sarah Gomez und der Designstudierenden Laura Augustin. In seinem Campus-Beitrag träumt er sich in eine Bauhaus-Meisterklasse von Paul Klee zurück.


"Habt ihr das mit den Normen verstanden? Wie sie sich aus den inneren Formen ableiten?" fragt der Meister in die Runde. Da sitze ich nun also. Ein halbes Jahr hatte ich auf die Zusage für die freie Malklasse gewartet, der Bewerbung einen persönlichen Brief beigelegt. Ich war so wissensdurstig, dass ich seit Wochen auf diesen Abend hinfieberte. Und nun, Stille. Meister Klee schaut uns fragend an, wir schauen fragend zurück. Seit eineinhalb Stunden geht das jetzt so. Bei Feininger wären in dieser Zeit bereits ein paar Meisterwerke entstanden.

Klee schreitet auf und ab und setzt seinen Vortrag fort. Der Theaterabend war gestern später geworden als geplant. "…wenn die unregelmässigen Formen auf die Normen treffen erzeugt dies Spannung…" Gähnen. Ich verstand immer mehr warum einige ihn den Bauhaus-Buddha nennen. Wieder Stille, fragende Blicke. Wenigstens ist der Meister noch hier. Kandinsky pflegte zu sagen: "Hier ist Ihre Aufgabe für die nächsten zwei Stunden. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen, auf Wiedersehen." Meister Klee nimmt das nächste Blatt von seinem chaotischen Stapel. Jedes der Blätter enthält Skizzen und Notizen, welche einem bestimmten, und meist sehr abstrakten Thema auf den Grund gehen. Alles in allem erinnern mich die Blätter sehr an den früheren Mathematik- und Geometrie-Unterricht und der Zusammenhang zu Klees spielerischen Gemälden ist mir schleierhaft.

Dem Buddha wird das nun endgültig genug: "Ich werde euch das nun am Sehapparat erklären!" Er zieht das schwarze Tuch vom in der Ecke stehenden Kubus und enthüllt das darunter liegende Ungetüm, eine Apparatschaft, wie ich sie noch nie gesehen habe. Aus gebogenem Metallrohr mit angebrachten, medizinisch wirkenden Gerätschaften. Ein Raunen geht durch die Klasse. Aufgeregte Blicke. Endlich was tun, denke ich. "Dieses Gerät, welches ich zusammen mit Marcel Breuer entwickelt habe, wird Ihnen das Gestalten lehren! Es erklärt die wichtigsten Punkte meiner Theorien auf angewandte Weise. Das Wichtigste ist, dass Sie sich dabei nicht bewegen und Sie sich nur darauf konzentrieren, was Sie sehen."

Einer nach dem Anderen legt seinen Kopf in die Halterung und lässt die Tortur über sich ergehen. Klee bedient die Rädchen und Fäden und wirkt wie ein verrückt gewordener Doktor. Wie nah doch Genie und Wahnsinn beieinander liegen. Ich fühle das kalte Metall auf der Haut und versuche mich darauf zu konzentrieren, was ich sehe. "Wenn Sie ein guter Gestalter werden wollen, prägen sie sich die Formeln gut ein", verkündet der Meister und zerstört mein letztes bisschen Zuversicht, jemals etwas mit dem Gesehenen anfangen zu können. Ich habe das Gefühl, dass meine Lust, Dinge einfach auszuprobieren, im Dickicht der Formeln und Regeln erstickt wird. Gestaltung, das hatte ich mir anders vorgestellt.

Als die zwei Stunden endlich vorüber sind, verkündet Meister Klee abschliessend und mit plötzlich viel menschlicherem Tonfall: "Das nächste Mal bringen Sie bitte ein selbst generiertes Gemälde mit. Und vergessen Sie beim Malen alles, was ich Ihnen heute gesagt habe. Wenn sie ein besserer Gestalter werden wollen, verlassen sie sich ganz auf ihre Neugierde und Intuition. Ich habe Ihnen einen Weg gezeigt, ich selbst bin einen anderen gegangen."

Sébastien El Idrissi studiert Produkt- und Industriedesign an der Hochschule Luzern – Design & Kunst.

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