Auch die Villa Forni war mal in einem besseren Zustand.

Palladio suchen

Die Seminarwochen an der ETH sind Kult. Durchgetaktet reist man von A nach B bis Z. Man aber auch auf eigene Faust losziehen und spontaner Architektur erleben, wie eine Reise nach Vicenza zeigt.

Anfang Semester ist Lotto. Wir schreiben uns für die Seminarreisen ein und über die begehrtesten Plätze entscheidet das Los. Diesmal hatten wir kein Glück und erkunden deshalb spontan und auf eigene Faust die Meisterwerke von Palladio.
Viel geplant haben wir nicht. Schliesslich seien genügend Villen des grossen Meisters in der Region um Vicenza verteilt, man müsse sich nur spontan für eine Route entscheiden, hörten wir. Doch es ist Ende März und ein Montag, an dem wir in Vicenza ankommen. Dass die bekannteren Villen zu einer Touristenattraktion geworden sind und erst zum Saisonanfang ihre Türen öffnen, haben wir nicht bedacht. Auch dass montags die Museen ruhen, ist uns entgangen. Unsere romantische Vorstellung, dass die grossartige Architektur ein Allgemeingut ist und vor allem uns, den wissbegierigen Studenten, jederzeit zugänglich sein müsste, wurde von der kapitalistischen Realität zurechtgewiesen.
Doch so leicht geben wir nicht auf. Auf gut Glück fahren wir systematisch alle Villen ab, die in dem Stapel unserer Palladio-Reiseführer verzeichnet sind. Wir fangen mit der Villa an, in der sich, laut unserem Achtzigerjahre-Buch, ein Elektrowarengeschäft befinden soll. Vielleicht hätten wir mehr Erfolg, wenn die italienische Wirtschaft etwas stabiler wäre: Heute steht das einst stolze Haus leer, der grosse Garten ist vermoost und die verdreckten Statuen schauen uns vorwurfsvoll an. Ein paar weitere Villen erwarten uns in einem ähnlichen Zustand. Ein paar sind privat, sodass wir sie nur von weitem anschauen dürfen. Einige haben so widersprüchliche Standortangaben, dass man sie nicht einmal mit GPS finden kann. Unser Interesse steigt mit jedem Bauwerk. Vor der Villa Emo finden wir ein geöffnetes Tor. Wir schleichen hinein, spazieren durch den Garten, schauen uns die Räume an – auch das Haus steht offen. Als wir zufrieden zurückkehren, stehen wir vor dem verschlossenen Tor. Eine Weile vergeht bis uns der Hausmeister aus dem schönen Renaissancegefängnis befreit.
Aus der Nähe oder über Mauern und Zäune studieren wir die Details und die Proportionen weiterer Villen. Der erschreckende Zustand einiger von ihnen wirft einerseits die Frage auf, wie viele Generationen noch die Möglichkeit haben werden, diese Architektur zu erleben, fasziniert uns aber auch andererseits – wenn wir zum Beispiel unter dem abblätterternden Putz erkennen, wie Palladio seine Säulen mauern liess. Am nächsten Tag besuchen wir die Star-Villen als artige Museumsbesucher mit Audioguide und Museumspantoffeln. Und dem Gefühl, dass wir am Vortag Palladio viel näher gekommen sind.

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Kommentare

Reisender 12.05.2015 14:28
Eine Google-Suche nach "Palladio" und "kml" ergibt auf Anhieb eine Datei mit den Villen im Veneto, wunderbar darstellbar auf Google Earth. Ist heutzutage keine Sache mehr, solche Dinge zu finden. Aber man muss die Technik anwenden.
La Fama 08.05.2015 16:55
Es ist aber nicht so schwierig out of the box zu denken und so wissen, dass ausserhalb der Deutsche Schweiz die Welt anders funktioniert, oder?
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