Was konform ist und dem gängigen Schönheitsideal entspricht, lernen wir aus Bildern. Doch was, wenn das Objekt und seine Bilder einem Tabu unterliegen? Fotos: Sophie Gysin

Ordnung! Ordnung? Unordnung?

Was konform ist und dem gängigen Schönheitsideal entspricht, lernen wir aus Bildern. Doch was, wenn das Objekt und seine Bilder einem Tabu unterliegen?


Sophie Gysin untersucht in ihrer Fotoarbeit am Institut Lehrberufe für Gestaltung und Kunst an der HGK Basel, wie Frauen zwischen 18 und 60 Jahren ihre Vulva sehen.

Ordnung kann auch Moral und gesellschaftliche Normen bedeuten. Hat das etwas mit mir zu tun? Ist zum Beispiel mein weibliches Geschlecht einer Ordnung ausgesetzt? Was hat die Gesellschaft für einen Einfluss auf meine Wahrnehmung und meine Gefühle meiner Vulva gegenüber? Mit was für Vorstellungen und Definitionen von einer schönen und normalen Vulva werden Frauen konfrontiert? Kann es überhaupt so etwas wie eine normale Vulva geben?

Meine fotografische Arbeit zum Thema ‹Ordnung› setzt sich mit der Darstellung respektive der Diversität des weiblichen Venushügels auseinander. Die Vulva wird seit Jahrhunderten tabuisiert und auf Darstellungen meist weggelassen oder sehr vereinfacht und unverfänglich schematisch gezeigt. Nur in der Pornografie wurde das weibliche Geschlecht präsentiert.

Heute unterziehen sich viele Pornodarstellerinnen einer Labioplastik, einer Schamlippenkorrektur. In den meisten Fällen bedeutet das, dass die inneren Schamlippen kleiner und die äusseren grösser gemacht werden. So werden sie standardisiert. Mit meiner Arbeit möchte ich die Diversität des weiblichen Geschlechts sichtbar machen. Ich will zeigen, wie unterschiedlich und in wie vielen Variationen es die Vulven gibt. Sie sollten kein Tabuthema mehr sein. Mit meiner Arbeit wollte ich diesen Sensibilisierungsprozess unterstützen.

Für die Arbeit ‹Selbstbewusstsein› haben sich über 40 Frauen im Alter zwischen 18 und 60 Jahren bereit erklärt, ihren Venushügel zu fotografieren. Es zeugt von Mut, sich so vor einer Kamera zu entblössen. Sicherlich half es den Teilnehmerinnen, dass sie anonym bleiben konnten. Denn bei den Fotografien handelt es sich um Polaroid-Sofortbilder, welche die Frauen jeweils alleine in einem Raum und selbst aufgenommen haben. Alle Teilnehmerinnen konnten zwei Bilder machen: eines für sich zum nach Hause mitnehmen und eines für in die Box, in der ich alle Fotos sammelte. Diese Box öffnete ich erst, als ich genug Fotografien zusammen hatte. Dadurch konnte ich den Frauen, die sich selbst fotografierten, nochmals mehr Anonymität und Sicherheit geben.

Die meisten Fotografien kamen an einem einzigen Tag zustande. Mit einem Flyer, den ich per SMS an meine weiblichen Kontakte sendete, lud ich an einem Samstag zu mir nach Hause ein. Es sollte ein kleiner Event werden und es war schön, wie viele Freundinnen auch noch weitere Freundinnen, ihre Mütter oder Schwestern oder ihre Partnerinnen mitbrachten. Einige zeigten sich ihre Fotos untereinander, andere liessen sie schnell in ihren Taschen verschwinden.

Ich präsentierte die Fotosammlung in schlichter Form an einer Werkschau in der Hochschule. Trotz der zurückhaltenden Präsentation zog die Arbeit viel Aufmerksamkeit auf sich. Doch was genau löste die Arbeit bei den Betrachterinnen und Betrachtern aus? Wurde ihr nur aus voyeuristischen Gründen so viel Aufmerksamkeit geschenkt? Regte sie dazu an über die Vielfältigkeit der Vulva nachzudenken? Regte sie vielleicht auch an, offener über das weibliche Geschlecht zu reden?

Ich möchte auf jeden Fall an den aufgeworfenen Fragen von Gender und Geschlechtern weiterarbeiten und dieser Themenbereich wird mich weiterhin, sowohl inhaltlich als auch künstlerisch beschäftigen.

Die fotografische Arbeit von Sophie Gysin ‹Selbstbewusstsein› entstand im
Modul Fotografie des Instituts Lehrberufe für Gestaltung und Kunst der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel.

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