Die Jugend von heute
Dass Neues meist erst einmal mit Argwohn betrachtet wird, zeigt sich auch in der Architektur – zum Beispiel am Eiffelturm.
«Die Jugend von heute liebt den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süssspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.»
Wie oft hat man solche Worte schon vernommen und mit einem müden Lächeln quittiert. Wider Erwarten stammt diese Aussage jedoch nicht aus unserer Zeit, sondern von Sokrates, dem Philosophen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Das antike Griechenland befand sich damals in seiner Blütezeit und der von Sokrates befürchtete Sitten- und Kulturverfall trat nicht mit dem Generationenwechsel ein. Waren seine Beobachtungen also bloss subjektive Trugschlüsse? Wie lässt sich erklären, dass ähnliche Feststellungen die gesamte Menschheitsgeschichte begleiten?
Das Muster der ungesitteten Jungen und der klagenden Älteren wiederholt sich. Dass Neues meist erst einmal mit Argwohn betrachtet wird und sich seine Akzeptanz im Laufe der Zeit erarbeiten muss, wird auch in der Architektur deutlich. Wohl eines der berühmtesten Beispiele dafür war die Errichtung des Eiffelturms für die Weltausstellung von 1889 in Paris. So unumstritten er heute nationales Symbol Frankreichs ist und als eine Ikone der Architekturgeschichte gilt, so kontrovers wurde der Entwurf schon vor Baubeginn diskutiert. Technische Fortschritte im Stahlbau machten leichte Konstruktionen mit gewaltigen Dimensionen möglich. Was zuvor nur im Tiefbau angewendet wurde, diente zum ersten Mal der blossen Repräsentation. Das offen zur Schau gestellte Stahlskelett, die fehlende Fassade und die enorme Höhe fanden viele Bürgerinnen und Bürger skandalös, Protestkundgebungen begleiteten den gesamten Bauprozess. Vor allem Kunstschaffende und Intellektuelle, darunter auch namhafte Persönlichkeiten wie Jacob Burckhardt oder Émile Zola, verwünschten die Verschmelzung von Kunst und Industrie.
Die öffentlich ausgetragene Polemik ebbte mit der Eröffnung des Turmes jedoch schnell ab und schlug in Euphorie um. Die kritischen Stimmen sind heute nicht mehr als eine Randnotiz. Gut möglich also, dass viele Bauwerke, die heute Teil des kulturellen Erbes sind, eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben. Eine bizarre Vorstellung, dass die Errichtung der Pyramiden bei Kairo, des Parthenons in Athen oder des Kolosseums in Rom von Kritik und Häme begleitet worden waren.
So merkwürdig diese Gedankengänge klingen, so absurd scheint auch, dass sich ein über die Jugend Beklagender selber einmal Teil jener war. Selbst Sokrates war einmal ein aufrührerischer Jungspund, dem aufgrund seiner anstössigen Meinungen Atheismus und Verblendung vorgehalten wurden. Für die Nachwelt bleibt er dennoch als einflussreicher Vordenker in Erinnerung und nicht als ungezähmter Rebell.
* Alan Pülz studiert im 6. Semester Architektur an der ETH Zürich.