Die ‹vivo-sens› Brille in der Frontansicht.

Auf Konfrontation mit der Wirklichkeit

Die ZHdK-Studentin Eileen Good hat eine Brille entworfen, die ‹Mixed–Reality› in die Konfrontationstherapie bringt. Im Interview erklärt sie, wie Betroffene damit ihren Ängsten begegnen.

Du hast ein Konzept für eine Mixed Reality Brille entworfen. Was genau ist das eigentlich?  
Eileen Good: Im Unterschied zu Virtual Reality (VR), womit das Eintauchen in eine komplett virtuelle Umgebung gemeint ist, verbindet Mixed Reality (MR) die reale und die virtuelle Welt miteinander. Mit meiner Mixed Reality Brille können Nutzer:innen in ihrer realen Umgebung mit virtuellen Objekten interagieren, die sie durch Handbewegungen auswählen, bewegen und verändern. Die Möglichkeit, die physische Welt mit der virtuellen Wirklichkeit verschmelzen zu lassen und so neue Realitäten zu schaffen, finde ich inspirierend.


Entwurf der MR-Brille ‹vivo-sens› Brillen als Rendering von Eileen Good.

Durch das transparente Gehäuse wird die Technik sichtbar.

Was ist der Kern deiner Idee und an wen richtet sie sich?
Meine Mixed-Reality-Brille wird in der Konfrontationstherapie gegen spezifische Phobien angewendet. In der klassischen Therapie wird die Begegnung mit dem Gefürchteten entweder ‹in sensu›, also rein gedanklich oder ‹in vivo›, durch eine physische Begegnung durchgeführt. Durch die Verwendung einer Mixed-Reality-Brille ist es möglich, ‹in vivo› und ‹in sensu› zu kombinieren. Gesteuert über die Software der Brille können beispielsweise grosse Schlangen oder seltene Spinnen realitätsnah an jedem möglichen Ort dargestellt werden. Darin liegt ein grosses Potential, weil sich Therapeut:innen und Betroffene nicht in einen Zoo begeben müssen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Therapie sehr individuell an die Angsthierarchie der Betroffenen angepasst wird. Zunächst wird die Spinne beispielsweise nur als Hase mit acht Beinen angedeutet, später als statisches 3-D-Objekt und erst am Schluss in voller Grösse und in Bewegung. Am Bügel meiner Brille befinden sich zudem hinter den Ohren Sensoren für ein Biofeedback, das bei den Therapeut:innen den Stresslevel der betroffenen Person anzeigt.

Welche Rollen spielen Form und Funktion bei deinem Entwurf?
Es geht mir vor allem um den Umgang mit Form und Ästhetik einer Brille im spezifischen Therapieumfeld. In meinem Entwurf arbeite ich mit Kontrasten und kombiniere Linien und Flächen, Opazität und Transparenz, Retro- und ‹Future›-Elemente. Durch die Sichtbarkeit der technischen Elemente wird die Brille nicht nur in der Materialität, sondern auch in der Kommunikation transparent. Sie verrät, dass sie ein technisches Objekt ist, welches das Blickfeld manipuliert und mit den Sensoren körpereigene Vorgänge misst. Die Person in der Therapie soll dies erkennen und sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden können. Zudem hat die Brille einen verspielten, einladenden Anreiz und hebt sich von Objekten aus dem klassischen medizinischen Umfeld ab.



Ausschnitt aus dem User-Szenario.

Handskizzen vom Prozess.

Welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung?
Eine grosse Herausforderung war das Anpassen am menschlichen Kopf. Bei der Gestaltung von Brillen bedeutet jeder Millimeter eine sichtbare Veränderung. Es war zudem sehr anspruchsvoll in ein neues, mir unbekanntes Thema einzutauchen. Das Gespräch mit einem Psychologiestudent der ZHAW, der mir seine Einschätzung und Tipps am Anfang des Projekts geben konnte, hat mir Orientierung und Anhaltspunkte gegeben. Auch der Austausch mit meinen Mitstudent:innen ist ein wichtiger Teil der Arbeit.

Kannst du dir vorstellen, in Zukunft an dem Thema weiterzuarbeiten?
Ja, auf jeden Fall! Ich möchte gern in viele andere reale und virtuelle Welten blicken und vor allem austesten und erfahren, was Design in diesem Kontext bewirken kann. Was ich speziell spannend finde ist, dass Design unsere Gesellschaft nicht nur mitgestaltet, sondern auch spiegelt. Die Artefakte, die uns umgeben, sagen viel über die Art und Weise, wie wir leben. Da gibt es noch viel zu lernen, zu sehen und zu entdecken.

Eileen Good im Selbstportrait mit einem Entwurfs-Prototyp.


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