Biel through a queer lense
In ihrer Masterarbeit an der BFH hat sich die Architekturstudentin Katja Sauter mit partizipativen Prozessen für eine inklusive Stadt beschäftigt und ein Projekt für die Stadt Biel entworfen.
Können Architekt:innen Räume schaffen, die zur sozialen Entwicklung einer Gesellschaft beitragen? Wo sind die Grenzen des Miteinanders? Und ist es möglich, mit Architektur eine inklusive Stadt zu schaffen? In meiner Masterarbeit an der Berner Fachhochschule habe ich untersucht, ob und wie sich diese Ansätze umsetzen lassen. Durch Workshops mit queeren Menschen hab ich gelernt, wie eine partizipative Entwicklung stattfinden kann und wie Fachleute und Laien zusammenarbeiten können. Eine Herausforderung war, die unterschiedlichen Ansprüche der Teilnehmenden und die verschiedenen daraus resultierenden Nutzungen in ein architektonisches Konzept zu bringen.
Die Idee meiner Masterarbeit entstand durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Thema der sozialen Nachhaltigkeit. Durch die im Rahmen der theoretischen Arbeit durchgeführten Stadtspaziergänge mit queeren Menschen fand ich den Perimeter im Herzen Biels: Ein kulturell wichtiger Ort, der durch diverse Baumassnahmen stark in den Hintergrund gerückt ist und das seit langem vorhandene Potenzial nicht ausschöpft. Der Kern besteht aus drei Bestandsgebäuden: das ‹Haus pour Bienne›, eine soziale Einrichtung des Vereins Fair mit verschiedenen kulturellen und sozialen Nutzungen; die Villa Fantasie, die zum Autonomen Jugendzentrum gehört und Musikstudios für Bieler Musiker und einen Club beinhaltet; sowie die Missionskirche, eine frühere Uhrenfabrik, die Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen beherbergt. Der erste Workshop widmete sich den Nutzungen und Nutzenden dieser drei Bestandsgebäude. Um ein ganzheitliches Konzept für diesen Ort zu schaffen war es essenziell, diese so früh wie möglich zu definieren, um Konflikte und Potenziale zu erkennen. Der zweite Workshop behandelte darauf aufbauend die Gestaltung der Aussen- und Strassenräume. Die Erkenntnisse aus den Workshops habe ich in ein architektonisches Bild gepackt, das zum Ort und zur Stadt Biel passt, die Bedürfnisse der Nutzenden miteinbezieht und verschiedene Orte für diese schafft.
Die Nutzung der Missionskirche weicht einem alternativen Wohnprojekt, durch eine Aufstockung wird dafür mehr Raum geschaffen. Dort wird auch eine Praxis für die sexuelle Beratung von queeren Menschen Platz finden, sowie eine ‹queer friendly›-Bibliothek, die als Treffpunkt für die queeren Vereien dienen kann. Die Nutzungen der Villa Fantasie und des ‹Haus pour Bienne› sollen aufgrund ihres wichtigen sozialen und kulturellen Beitrags erhalten bleiben. Die Villa wird durch eine öffentliche Nutzung im Erdgeschoss besser mit den anderen Gebäuden verbunden und zudem einen Raum für die Integration von Suchtkranken anbieten. Die Aussenräume werden durch Farbe gekennzeichnet und leiten so in die Open Street über. Der Strassenraum wird mit Pflanzen und Wasserelementen klimatisch und atmosphärisch aufgewertet. Die unterschiedliche Zonen auf dem Platz werden in Ruhe- und Aktionsorte eingeteilt. In den freien Gestaltungszonen sollen die Nutzenden viel Platz für eigene Interventionen haben.
Die Ausgestaltung der Aufstockung für das alternative Wohnen in der Missionskirche war ein wichtiger Teil der Masterarbeit. Um den neuen Nutzungen gerecht zu werden, wird der Bestand bis auf die Tragstruktur und die Aussenwände entkernt. Um mehr Wohnraum zu schaffen, wird das Gebäude um zwei Stockwerke erhöht. Dafür wird das bestehende Satteldach abgerissen. Die alte Tragstruktur wird in die Aufstockung integriert, um eine simple Struktur beizubehalten. Die Aufstockung besteht aus einem Leichtbau aus Holz. Die Holzstruktur der Fassade setzt die neuen Stockwerke vom Bestand ab und verbindet sie gleichzeitig durch die Aufnahme der vertikalen Elemente.
Die wichtigste Erkenntnis meiner Arbeit ist, dass eine inklusivere Stadtentwicklung definitiv entstehen kann, wenn die Bedürfnisse queerer Menschen in die Stadtplanung einbezogen werden. Weil queere Menschen von der Gesellschaft benachteiligt und ausgeschlossen werden, haben sie ein grosses Verständnis für andere marginalisierte Gruppen. Bei Fragen zur Stadtentwicklung denken Sie in erster Linie an Gefühle. Sie denken an Atmosphären, Sicherheit, Rückzugsorte, Gemeinschaft, Zusammenhalt, Sichtbarkeit und Integration. Sie erinnern sich an den jahrelangen Kampf, Raum für sich zu schaffen und zu beanspruchen. Da diese Bedürfnisse bei den meisten marginalisierten Gruppen ähnlich sind, können durch den Einbezug queerer Menschen in die Stadtplanung offene und integrative Räume für alle entstehen.
Ich bin dankbar, dass ich für meine Masterarbeit ein Thema wählen konnte, das mir am Herzen liegt und im klassischen Lehrplan der Architektur meist nicht vertreten ist. Die Förderung der persönlichen Haltung zur Architektur und die Freiheit in den Entwurfsprozessen empfand ich als bereichernd und hat mich für meinen weiteren Weg geprägt.
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* Katja Sauter hat im vergangenen Sommer ihr Masterstudium in Architektur an der Berner Fachhochschule abgeschlossen.