Die Wetterkarte des offenen Wettbewerbs: Währen in der Romandie die meisten Verfahren offen sind (rote Punkte), setzt die Deutschschweiz auf selektive Verfahren (blaue Punkte). Fotos: Manu Friederich

Röstigraben der Wettbewerbe

Der Städtebaustammtisch «Der offene Wettbewerb» fragte: Wieso sind in der Deutschschweiz die meisten Verfahren selektiv, während in der Romandie fast alle Wettbewerbe offen sind?

In der Westschweiz scheint die Sonne, während dicke Wolken über dem Grossraum Zürich hängen. Sinngemäss erklärte Hochparterre-Redaktor Ivo Bösch so die Wetterkarte, mit der er den gestrigen Städtebaustammtisch «Der offene Wettbwerb» im Zürcher Sihlhof eröffnete. Im Jahr des offenen Wettbewerbs zeigt diese einen Röstigraben in rot und blau: Während die Romands drei Viertel ihrer Wettbwerbe offen durchführen, sind drei Viertel der deutschschweizer Wettbewerbe selektiv. Der Städtebaustammtisch sollte klären, woran dies liegt und wie ein gesundes Verhältnis wieder hergestellt werden könne.

Wieso Private selektive Verfahren vorziehen, erklärte Martin Hitz, Bauchef der Migros Ostschweiz schon zu Beginn: Man möchte eine «gut gestreute Lösungsvielfalt» erreichen und es sei politisch hilfreich, bei umstrittenen Projekten ein Wettbewerbsverfahren vorweisen zu können. Beides leistet das selektive Verfahren und man könne die zukünftigen Partner in einem dialogischen, nicht anonymen Verfahren kennen lernen. Winterthurs Stadtbaumeister Michael Hauser erklärte zustimmend, in unserem Kulturkreis wolle man schliesslich auch keine «Frau im Schleier» heiraten.
Danach wurden die bekannten Vorteile des offenen Wettbewerbs beschworen: Raul Mera, Partner im Harry Gugger Studio, lobte das «Kulturgut offener Wettbewerb» als Bereicherung des architektonischen Diskurses. Rudolf Vogt, Präsident der SIA-Wettbewerbskommission, versuchte einen «Briefwechsel mit der verschleierten Frau» anzuregen, die sich durch das siegreiche Projekt qualifiziere. Ausserdem sei der einstufige, offene Wettbewerb das schlankste Verfahren und juristisch weniger anfechtbar, biete also auch harte Vorteile. Natürlich musste hier die Stellvertreterdiskussion über Kosten folgen. Der Tenor: «Stufengerecht» muss der offene Wettbewerb sein, mehr Machbarkeitsstudie als Vorprojekt. Er muss lediglich das beste Konzept suchen, dann bleibt er für beide Seiten günstig. Allerdings werden komplexe Bauaufgaben dabei unsicher, während detaillierte Wettbewerbsprogramme und interdisziplinäre Teams im selektiven Verfahren beim zukünftigen Bauträger Vertrauen schaffen.
Unbestritten war die Bedeutung des offenen Wettbewerb als Nachwuchsförderung. Erst mit Anerkennungen oder Preisen kann ein junges Büro als «young wild card» in ein selektives Verfahren gelangen. Doch baukulturelle Nachwuchsförderung ist kein betriebsökonomisches Ziel renditeorientierter Investoren, die Sicherheiten und rasch bauen wollen. Konkret: Bei einem Studienauftrag mit zehn ausgewählten und erfahrenen Architekturbüros bekommt der Private mit hoher Garantie ein gutes Projekt. Dies mag in einem offenen Wettbewerb noch ein wenig besser sein, doch stehen demgegenüber Unsicherheiten in der Ausführung mit einem allenfalls unerfahrenen Büro, die der Private schlicht vermeiden möchte.

Die Diskussion streifte intressante Aspekte und endete mit dem Vorschlag Michael Hausers, die SIA solle Genossenschaften, kantonsnahe Investoren und Stiftungen am runden Tisch fragen, was ihnen fehle, um offene Wettbewerbe auszuloben. Es gelte zudem, neue Lösungen zu suchen, beispielsweise hybride Verfahren wie ein selektiver Wettbewerb mit ausgelosten Teilnehmern oder ausführungserfahrene Büros als «Götti» für unerfahrene Wettbewerbsgewinner. Denn einig waren sich alle: Der «Himmel der offenen Wettbewerbe» ist eine unerreichbare Idealvorstellung und das realistische Ziel ist es, dass überhaupt mehr Wettbewerbe veranstaltet werden.

Hochparterre dankt Velux für die freundliche Unterstützung des Städtebaustammtisches.

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Kommentare

peter sägesser 03.12.2013 21:01
In meinen gut 20 Jahren Tätigkeit als Architekt hat sich das Verhältnis zwischen offenen und selektiven Verfahren gerade umgekehrt. Wieso das heute so anders ist, ist für mich nicht nachvollziehbar. Es sind nicht nur die Auftraggeber, die über das Verfahren bestimmen, sondern die begleitenden Büros und die Jurymitglieder. Und diese sind ja meistens SIA Mitglieder. Vom SIA erwarte ich, dass er hier Einfluss nimmt und sich für alle Architekturbüros einsetzt, ob jung oder alt und deshalb auch den offenen Wettbewerb fördert.
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