Wo bin ich? Bildverwirrung und Verdoppelung überwältigen den nachrechnenden Verstand.
Fotos: Haus am Gern
Schwindel packt den Besucher. Der Raum ist zerteilt und verwirrend vervielfältigt. Es gibt keine Antwort mehr auf die Urfrage: Wo bin ich? Die Klosterkirche von Bellelay im Berner Jura wird jeden Sommer gefüllt. Mit Kunst. Sie stellten einen schwarzen, innen spiegelnden Felsen als senkrechten Abgrund in die Kirche.
Schwindel packt den Besucher. Der Raum ist zerteilt und verwirrend vervielfältigt. Es gibt keine Antwort mehr auf die Urfrage: Wo bin ich? In der Klosterkirche von Bellelay im Berner Jura, einem Bau des Vorarlberger Baumeisters Franz Beer aus dem frühen 18.Jahrhundert, der in den Sechzigerjahren sorgfältig renoviert wurde. Heute steht in der mönchischen Einsamkeit eine weisse, leere Stuckhülle, ein Pfeilerwald mit Tonnengewölbe, ein Raum, in dem man schweigen muss. Er wird jeden Sommer gefüllt. Mit Kunst. Das Heutige soll auf den barocken Raum antworten.Das Künstlerpaar Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner tritt unter dem Namen ‹Haus am Gern› auf. Sie haben einen schwarzen Felsen, der auch ein senkrechter Abgrund ist, in die Kirche gestellt. Man betritt sie seitlich und sieht sich einem tiefschwarzen Klotz gegenüber, der mit seiner Massivität den Kirchenraum ausfüllt und beinahe sprengt. ‹Kaaba›, denkt man unwillkürlich. Geht man um den Felsen herum, so löst er sich auf und wird zum Raumrätsel. Zwei riesenhohe Spiegelwände öffnen sich in einem Winkel von 72 Grad zum Chor. Man sieht die Spiegelung des barocken Formjubels gespiegelt. Es braucht einiges Nachdenken, um herauszufinden, was man sieht. Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel, gewiss, doch Bildverwirrung und Verdoppelung überwältigen den nachrechnenden Verstand.Wie es gemacht ist, bleibt verborgen. Aussen mit schwarzem Stoff überzogen, innen mit auf zwei Rahmen gespannter Aluminiumfolie ausgeschlagen, an den Rändern geschlossen, ist das Gerüst des Spiegelbuchs unsichtbar. Doch eine perfekte Spiegelung kommt nur zustande, wenn die Folien absolut plan sind – Fels und Abgrund sind also millimetergenau konstruiert. Die senkrechte Fuge in der 9 auf 5,6 Meter grossen Spiegelwand sieht man erst von nah.Zum Werk gehört auch eine Publikation, in der Johannes Binotto über Spiegel und Schwärze nachdenkt. Is...
Der senkrechte Abgrund
Schwindel packt den Besucher. Der Raum ist zerteilt und verwirrend vervielfältigt. Es gibt keine Antwort mehr auf die Urfrage: Wo bin ich? Die Klosterkirche von Bellelay im Berner Jura wird jeden Sommer gefüllt. Mit Kunst. Sie stellten einen schwarzen, innen spiegelnden Felsen als senkrechten Abgrund in die Kirche.
Benedikt Loderer 13.08.2015 14:00