Der Limmat-Tower verankert das Limmatfeld in Dietikon dank seiner polygonalen Form und Fassaden in fünf Richtungen. Fotos: Susanne Stauss

Ein Leuchtturm für Dietikon

Steinern fusst der Limmat-Tower im Blockrandquartier von Hans Kollhoff. Über dem Sockel verortet die geknickte Alufassade den neuen Stadtteil in der Agglomeration.

«Die Schweiz tut sich schwer mit Hochhäusern», schrieb Architekt Hans Kollhoff in einer Monografie über das Werk des Architekturbüros Huggenbergerfries (De Aedibus, Quart-Verlag, 2016), das den Limmat-Tower entworfen hat. Abstrakte Stelen aus Beton oder Glas seien nur schwer entzifferbar, «aufgetürmte Pizzaschachteln» hätten es ebenfalls nicht leicht. «Deshalb haben wir es beim Limmat-Tower, sieht man einmal von den wunderbaren Kirchtürmen in Zürich, Basel und Bern ab, wohl mit dem ersten Hochhaus der Schweiz zu tun.»
Das sind nicht eben bescheidene Worte. Zudem ist Kollhoff als Masterplaner des Limmatfelds – und ehemaliger Professor der Architekten des Turms – nicht unbefangen. Und doch hat sein pointierter Kommentar einen wahren Kern. Der Turm ist, wie seine frühen Vorbilder in Amerika, klassisch gegliedert und vertikal betont – ganz im Unterschied zu den meisten verspielt umhüllten Hochhäusern, die in der Schweiz allerorts aus dem Boden schiessen. Der Limmat-Tower ist Teil der fünften Bauetappe, die Halter entwickelt und zu der auch ein Pflegeheim von Harry Gugger Studio und ein Wohnhaus von Max Dudler gehören. Achtzig Meter ragt er aus dem Neubauquartier und weist den Passanten, die vom Bahnhof her kommen, wie ein Pförtner den Weg. Er macht den Spagat zwischen dem klassischen Stadtmuster und einem stolzen Solitär, der als Leuchtturm für den neuen Stadtteil funktioniert und also städtebaulich gut begründet ist.

Inspiration in Amerika
Die Bürogründer waren alle um die vierzig, als sie 2011 den Wettbewerb für ihr erstes Hochhaus gewannen. «Wir widmen uns gerne neuen Bauaufgaben», sagt Erika Fries. Entsprechend unvoreingenommen gingen sie ans Werk: «Wir haben alles hinterfragt», so Fries. Während bei den meisten Türmen eine Struktur durchläuft, entwickelt sich der Limmat-Tower aus der Eckbebauung am Rand des Areals nach oben und springt zurück bis auf ein regelmässiges Fünfeck im Grundriss. Die Rücksprünge schmeicheln den Proportionen, auch wenn der Turm durchaus noch ein paar Geschosse höher hätte sein können, wie Fries bemerkt. Die fünfeckige Anlage hat zur Konsequenz, dass das Hochhaus keine klare Ausrichtung erhalten hat und von rundum immer eine Kante sichtbar ist. Die Fassade war ursprünglich anders geplant. «Nachdem wir den Wettbewerb gewonnen hatten, reisten wir nach New York und Chicago», erzählt Fries. Dort inspirierten sie die frühen Hochhäuser, die sich nach oben verjüngen. « Wir merkten: Das Aufwärtsstrebende interessiert uns.» Also wurde aus dem textilen Fassadenmuster aus dem Wettbewerb ein Relief mit Lisenen, von denen jede zweite von unten nach oben durchläuft. Der Sockel mit der doppelgeschossigen Kolonnade ist mit Jurakalkstein gefasst und nimmt Bezug auf Kollhoffs Blockrandstadt. Doch über der steinernen Stadt erhebt sich ein Turm mit einer Aluminium-Fassade. Sie faltet sich expressiv auf, ohne die Tradition zu verleugnen. Die Hülle ist mit Elementen aus Alucobond verkleidet, knickt vor und zurück, das Relief wird nach oben stärker. «Je höher der Turm, desto feingliedriger wird er», so Fries.

Während der TU-Submission wurde Alucobond als Option zu Feinbeton geprüft. «Die scharfen Kanten des Aluminiums bringen das Relief besser zur Geltung und machten den Bauablauf effizienter», erklärt Fries. Die Fassadenelemente wurden im Werk zugeschnitten und genutet, aber vor Ort in der Tiefgarage gefaltet, um die Lastwagenfahrten zu minimieren. Das Alu schimmert je nach Licht heller oder dunkler, wirkt einmal schwer, dann wieder leicht. Die Elemente verleihen der Fassade eine Tiefe, die man bei Hochhäusern heute selten sieht. Selbst aus der Ferne ist die Betonung der Vertikalen zu erkennen. Und so spricht denn Kollhoff auch von einem «unwiderstehlichen Schub in den Himmel». Zudem erlaubt die Fassade den Architekten, die Loggien subtil zu integrieren ; sie fallen nicht als schwarze Löcher aus dem Konzept. Zuoberst schliesst eine zweigeschossige Krone den Turm ab, hinter der die Maisonette-Wohnungen liegen.

Fünfeckiger Fünfspänner
Im Inneren ist der Turm – wie jedes Hochhaus – effizient organisiert. Im Sockel liegen Büros und Mietwohnungen. Darüber stapeln die Architekten 98 Eigentumswohnungen. Diese bieten keinen High-End-Luxus, obschon in der Eingangshalle Onyx leuchtet und Travertin schimmert. So misst beispielsweise eine 4 ½-Zimmer-Wohnung 130 Quadratmeter. Das richtige Mass machte sich beim Bezug bemerkbar: Fast alle Wohnungen sind verkauft beziehungsweise vermietet, während manche Entwickler in Zürich-West drei Jahre nach Bezugstermin noch auf ihren vergoldeten Appartements sitzen. Im Eilzugstempo ging es schon zuvor vorwärts: Der Turm wurde in nur zweieinhalb Jahren geplant und gebaut. Energetisch ist das Hochhaus auf dem aktuellen Stand der Technik. Die Wärme stammt aus der Abwasserreinigungsanlage der Stadt. Die Frischluft liefern Airboxen, die in jeder Wohnung die Luft direkt über die Fassade ansaugen. Das dezentrale System spart die Hälfte der Steigzonen für die Lüftung ein.
Den Grundriss gliedern die Architekten als Fünfspänner: Drei Lifte und zwei Treppenhäuser erschliessen fünf Wohnungen pro Geschoss, die alle ähnlich aufgebaut sind. Ein breiter Flur führt vom Eingang zum Wohnzimmer, das in der Gebäudeecke liegt und die Geometrie des Fünfecks nachzeichnet. Der Nachtbereich mit Bad und Schlafzimmern daneben folgt hingegen einer strikt orthogonalen Logik. Im Inneren nimmt man den Knick der Fassade erst auf den zweiten Blick wahr. Und doch lockert die Schräge die Wohnungen auf, die mit 2,47 Metern Raumhöhe und teils nur zehn Quadratmeter kleinen Zimmern wenig Luft nach oben haben. Huggenbergerfries Architekten bringen Dietikon dem Himmel ein Stückchen näher. Sie schaffen ein ausgewogenes Hochhaus – und dies gleich bei ihrem ersten Mal. Auch deshalb ist Kollhoffs Bewunderung berechtigt, der seinen Text mit einem Wort schliesst: «Chapeau!» 

Dieser Beitrag stammt aus dem Themenheft «Limmatfeld», das Hochparterre in Zusammenarbeit mit Halter AG herausgegeben hat. Das Heft kann vollständig als E-Paper gelesen und als gedruckte Ausgabe bestellt werden. Ein Drohnenflug präsentiert das Limmatfeld aus der Luft.

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