Neben Mario Bottas ‹Steinblume› erhebt sich der Monte Generoso bis zum Gipfel auf 1704 Meter über Meer. Fotos: Giuseppe Micciché

Blütenburg

Mario Botta versteift sich auf dem Monte Generoso auf eine Metapher und vergisst Landschaft, Konstruktionslogik, Nutzung und Bautradition. Hauptsache, blumig. Eine Architekturkritik von Andres Herzog.

Und dies soll eine Blume sein? Das fragt sich, wer aus dem orange-blauen Bähnchen auf dem Monte Generoso aussteigt, dem letzten Berg der Alpen im Tessin. Auf 1600 Metern über Meer hat Mario Botta eine ‹Fiore di pietra›, eine Blume aus Stein gemauert: Ein Ausflugsrestaurant, das sich achtblättrig wie eine Blüte zur Sonne öffnet. Das Haus ist also eine Ente, architekturtheoretisch betrachtet. Als ‹Duck› beschrieben Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour eine solche ‹Gebäude-Skulptur-Werdung› 1972 im Buch ‹Learning from Las Vegas›, in Anlehnung an ein entenförmiges Haus auf Long Island. Im Gegensatz zum ‹decorated shed›, der verzierten Kiste, bei der die Symbole hinzugefügt werden. Die Bauherrin Migros wird nicht müde, die Symbolik zu betonen: Sie spricht von einer «Steinblume» mit «Blütenblättern» und einer «Blütenkrone». Botta, der Bioniker? «Die Blume stand nicht am Anfang des Entwurfs, sie ist eine Metapher», beschwichtigt der Architekt. «Die Natur nachzuahmen interessiert mich nicht.» Lieber bezieht er sich auf Bruno Taut, der 1917 in seinem Buch ‹Alpine Architektur› von kristallähnlichen Gebäuden träumte, die er den Bergen aufpfropfte. Die Kanten von Bottas Bergrestaurant sind scharf, der Stein schwer – alles andere als eine weiche Blüte also. Die Skizzen, die in einer kleinen Ausstellung im Erdgeschoss hängen, zeigen aber: Die achteckige Geometrie war von Anfang an gesetzt – ob man nun darin eine Blume sehen will oder nicht. Der unbedingte Formwille wirkt elementar, wuchtig und führt zu vielfältigen Zwängen. Das geht schon aus der Definition von Venturi, Brown und Izenour hervor, die dann von ‹Duck› sprechen, «wenn die architektonischen Systeme von Raum, Struktur und Programm unterdrückt und verzerrt werden durch eine symbolische Form». Was das im Detail heisst, lehrt Bottas Blütenburg auf allen Ebenen...
Blütenburg

Mario Botta versteift sich auf dem Monte Generoso auf eine Metapher und vergisst Landschaft, Konstruktionslogik, Nutzung und Bautradition. Hauptsache, blumig. Eine Architekturkritik von Andres Herzog.

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