«Wir studieren die Projekte von Superstudio und Rem Koohlhaas nicht um investoren-konforme Projekte zu planen.» Fotos: penccil.com

Der Architekt als kreativer Nonkonformist

Die Beziehung zwischen Theorie und Wirklichkeit in der Architektur ist heute schwieriger denn je. Zu welcher Position werden wir als Studenten ausgebildet? fragt Trans-Redaktorin Saida Brückner in ihrem Campus-Beitrag.


Die Beziehung zwischen Theorie und Wirklichkeit in der Architektur ist heute schwieriger denn je. Zu welcher Position werden wir als Studenten ausgebildet? Und welche Position nehmen wir als Architekten im ökonomischen Wechselspiel der Wirklichkeit ein?

Wenn man sich dem Ende des Studiums nähert, werden die Fragen nach dem Danach häufiger und lauter. Auch das eigene Verlangen nach neuer Unabhängigkeit: finanzieller Unabhängigkeit, Unabhängigkeit von Professoren, Institutionen und von Ideen. Eine Welt eröffnet sich, welche die Hoffnungen auf Eigenständigkeit und Freiheit mit sich bringt. Der Traum eigene Projekte zu entwickeln und sich darin selbst zu verwirklichen ist dem Gedankengut des kreativ Schaffenden wohl inhärent und gilt als höchstes Ziel.

Als Studentinnen und Studenten treten wir in diese Welt mit einer Naivität, die Verantwortung und Verpflichtung genauso wenig kennt wie Budget, Bauherren und Paragraphen. Wir wollen lernen uns mit realen Probleme auseinanderzusetzen und für die Gesellschaft zu bauen, aber wir haben auch Angst vor der Wirklichkeit des Alltags, in dem das Konzept und die Idee von der Machbarkeit soweit in die Ecke gedrängt werden, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Warum hat unsere Profession so wenig Einfluss auf so viel Gebautes? Als Studenten der ETH Zürich besitzen wir viele Privilegien in der Wahl unserer zukünftigen Stellung und trotzdem sehen wir den Kern unserer Disziplin in der Universität besser verkörpert als in der Bauökonomie.

Wir studieren die Projekte von Superstudio und Rem Koohlhaas nicht um investoren-konforme Projekte zu planen. Der intellektuelle Anspruch der Universität verspricht mehr und begehrt mehr. Ich frage mich, wie wir unsere studentische Naivität innerhalb der von wirtschaftlichen Zwängen kontrollierten Realität behalten können, um frei zu denken. Wir wollen arbeiten wie ein Künstler arbeiten darf. Frei von institutionalisierten Zwängen und mit einer sozial-kritischen Einstellung. Unser Anspruch ist nicht nur gemütliche Wohnungen und schicke Büros zu bauen, sondern uns kritisch mit gesellschaftlichen Realitäten, historischem Erbe und einer möglichen Zukunft auseinanderzusetzen. Wir sind Teil der Produktion von zeitgenössischer Kultur und unsere Position in der Gesellschaft sollte dies berücksichtigen.

In dem Text «Der Künstler als Prototyp des unternehmerischen Selbst» von Isabelle Graw im Kunstbulletin (Ausgabe 14/2015) zeigt sich vielleicht eine Alternative unserer Selbstdefinition. Sie beschreibt den Künstler als neues Ideal des unternehmerischen Selbst, da er sowohl selbstbestimmt arbeitet als auch kreativ. Der Künstler als «kreativer Nonkonformist» ist der Inbegriff des kapitalistischen Individualismus und kann ihn sich dadurch zu Nutzen machen anstatt von ihm abzuhängen. Die Medialisierung des kreativen Intellektuellen, die damit einhergeht, ist eine Möglichkeit, die wir als junge Architekten erwägen sollten: Vielleicht können wir die Disziplin damit von einer selbstmitleidigen, gesellschaftlich zweitrangigen Position zu einer allgemein kulturell geschätzten Stellung verhelfen, in der wir als Architekten außerhalb von Zwängen der Baubranche und Investoren handeln können, und in der mit Architektur wieder gesellschaftliche Kritik geübt werden darf. Die junge Generation Architekten der 1960/70er Jahre wurde durch ökonomische Tiefpositionen zu neuem Denken gezwungen. Für uns stellt sich die Frage, ob wir im neuen Verständnis des kreativen Intellektuellen eine Gelegenheit erkennen, mit der wir unserer Disziplin neue theoretische Geltung ermöglichen können.

* Saida Brückner ist Redaktorin der Zeitschrift trans, dem Fachmagazin des Architekturdepartements der ETH Zürich, das seit 1997 von einer unabhängigen, studentischen Redaktion geführt wird.

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Kommentare

Isa 27.06.2017 13:17
Super Text, vielen Dank! Auf jeden Fall ist die Architektur massgebend für unsere Zukunft. Und die Figur des kreativen Intellektuellen - etwa Carlo Scarpa, Angelo Mangiarotti, Manfredo Tafuri, Lina Bo Bardi - führt weiter! Betreffend 'frei von institutionalisierten Zwängen' scheinen mir die Künstler so wenig losgelöst wie wir - aber gibt es nicht auch produktive Zwänge ; ))))
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