Gewinner Architekturpreis Südtirol 2019: Pedevilla Architects, Haus am Mühlbach. (Foto: Perbellini) Fotos: zVg

Architektur als gesellschaftliche Aufgabe

Pedevilla Architects gewinnen den Architekturpreis Südtirol 2019 für das Haus am Mühlbach in Taufers. Jurymitglied Daniel A. Walser über die Baukultur in Italiens nördlichster Provinz.

Die Jurierung der eingereichten Bauwerke war für die Jury alles andere als einfach. Die vorgefundene Qualität der Bauten machte es nicht einfach, eine sinnvolle Anzahl von Bauwerken auszusuchen, die auch persönlich besucht werden konnte. Die Distanzen sind im Südtirol nicht zu unterschätzen. Doch der Besuch der Bauten vor Ort war eine essentielle Grundlage, um die Bauwerke qualitativ beurteilen zu können.

Architektur und Landschaft

Bauen ist im alpinen Raum oft eine prekäre Angelegenheit: Die Beschränkung der ökonomischen aber auch räumlichen Möglichkeiten schafft eine Konzentration der Aufgaben auf essentielle und ausgeklügelte Lösungen. Wenn man oberhalb von Bozen über die Landstrassen fährt, dann fällt auf, dass vor allem die kleineren und lokalen Strassen sorgfältig geplant, ausgeführt und unterhalten wurden. Stützmauern sind aus Naturstein, gefertigt, die Linienführung behutsam gewählt und die Strassenbreiten sind auch nicht überall auf das Maximum ausgebaut. Dies führt zu einem behutsamen Umgang und Sorge tragen zur Landschaft.

Zudem ist ein starker Bezug der Bauherren zu ihrem Lebensraum zu beobachten, was zu einem bewussten Umgang und einem vermehrten Engagement führt. Wettbewerbe spielen dabei eine essentiale Rolle und die Erfahrung, dass Architektur und gute, individuelle Gestaltung eine grössere Aufmerksamkeit schafft und bessere Lösungen hervorbringt. Weingüter bildeten vor bald 15 Jahren den Anfang und sind bis heute eine Paradedisziplin geblieben. Etwas anders sieht es rund um das ökonomisch starke Zentrum Bozen aus. Hier wird vieles gebaut, das relativ gesichtslos und ohne eine grosse Identität ist. Eine wuchernde Agglomeration von anonymen Bauten ohne große öffentliche oder gesellschaftliche Wirkung ist zu finden. Die Bauspekulation ist stärker als das Schaffen langfristiger baulicher Qualität.

Mit Wettbewerben zu neuen Lösungen

Aber auch in industriellen Agglomerationen gibt es immer wieder interessante Ansätze, welche die Jury zwar nicht prämierte, doch schätzte, dass auch Fabrikanlagen wie die simplen Fassaden der Lagerhäuser der Obstgenossenschaft Melix in Brixen (2014) von Kerschbaumer Pichler & Partner über einen Wettbewerb eruiert wurden. Hierdurch entstehen auch in anonymen Gegenden Orte mit baulichen und öffentlichen Qualitäten, welche einer Gegend ein Gesicht zu verleihen vermögen. In Südtirol existiert eine gute Kultur für Architekturwettwettbewerbe und zwar nicht nur für öffentliche Aufträge, sondern auch bei Firmen und Privaten. Dies führt zu guten, unerwarteten und immer wieder auch zu innovativen Ergebnissen. Für eine fundierte Baukultur ist es ebenfalls essentiell, dass auch jüngere Büros über Wettbewerbe an grosse Aufträge kommen und diese auch ausführen können. Der Totalumbau des Hotels Lamm in Kastelruth (2018) der beiden Architekten Lukas Tammerle und Paul Senoner ist ein gutes Beispiel dafür. Die beiden Architekten schlugen im Wettbewerb eine komplette Drehung des Hotels vor und haben das riesige Bauvolumen adäquat ergänzt und umgesetzt.

Öffentlicher Raum und Innenarchitektur

Eine wunderbare Ausnahme ist der Silvius-Magnago-Platz in Bozen von Stanislao Fierro (2018). Der Platz überzeugt durch sein klare Organisation und einfache Haltung. Der Entwurf gibt den öffentlichen Bauten den repräsentativen Rahmen und schafft Ruhe. Die Situation ist grundsätzlich schwierig, da nicht alle umliegenden Bauwerke die selben baulichen Qualitäten besitzen und sich unter dem Platz eine Tiefgarage befindet. Dennoch schafft der Entwurf auf eine zurückhaltende Weise räumlich differenzierte Bereiche, welche der Aufgabe der Neuordnung des politisch wichtigsten Platzes sehr gerecht wird.

Gewinner Preis Öffentlicher Raum und Infrastrukturen / Publikumspreis: Neugestaltung Silvius-Magnago-Platz

Architektur als bewohnte und nutzbare Qualität

In vielen Fällen ist für die Bauherren Architektur ein Teil des Marketings. Doch haben die Gewerbetreibenden gemerkt, dass sie dadurch auch eine neue Klientel anziehen können, die sie sonst nicht erhalten wurden. Architektur kann mehr als nur Funktionen zu erfüllen. Das Hotel Bühelwirt in St. Jakob im Ahrntal (2017) von Pedevilla Architekten ist eine schöne Ergänzung an ein bestehendes Hotel. Gerade aus der Ferne fügt sich der schwarze Neubau gekonnt zur bestehenden Bausubstanz und zu den umliegenden Bauwerken. Im Inneren funktioniert der Bau ebenfalls gut und schafft eine gelungene Erweiterung. Einzig wenn man davor steht, will der Anbau nicht wirklich zum bestehenden Bau passen. Es sind zwei konträre Haltungen, funktionieren aber in der Benutzung und im inneren des Baues gut zusammen.

Auch im Hotel Bad Schörgau ist der Neubau der Kochakademie (2017) eine gelungene architektonische aber auch funktionale Ergänzung zum bestehenden Komplex. Das Gebäude beherbergt sowohl einen Ausstellungsraum und eine Schauküche. Der Bau dient vornehmlich als grosse Küche für Kochkurse, die der Sohn des Gründerehepaares des Hotels durchführt. Die Architekten nutzen Ornamente um dem Raum eine Stimmung zu geben und ihn zu vereinheitlichen. Architektur ist weniger eine Frage des grossen Budgets sondern der Zeit, die ein Architekturbüro in die Entwicklung einer spezifischen Lösung investieren kann. Es schien der Jury, als ob die individuell geführten Betriebe aus eigenem Interesse an der gezielten und innovativen Weiterentwicklung beispielsweise ihres Hotels eine Energie entwickeln, die ganz spezifische und passende Lösungen hervorbringt, die anders gar nie entstehen könnte. Dies ist sowohl der Schlüssel zur Innovationskraft und Risikobereitschaft der Bauherren, aber auch der Architektur.

Gewinner Preis Innenraumgestaltung: Pedevilla Architects, Hotel Bad Schörgau (Foto: Gustav Willeit)

Architektur ist immer auch Öffentlichkeit oder ein weiterbauen am Ort. Haus & Schuhe Pertinger in Mühlbach (2017) von Gerhard Forer und Ursula Unterpertinger ist ein einfacher aber gelungener Baukörper. Der adäquate Bau schmiegt sich entlang der Kirchenmauer und schafft einen unspektakulären Bau, der sowohl dem lokalen Gewerbe, einem Schuhladen seinen Sitz gibt, wie auch für guten Wohnraum sorgt.

Architektur unterstreicht Engagement auf höchstem Niveau

Bei Weingütern ist die Architektur nicht nur ein Marketinginstrument, sondern hat viel auch mit dem Anspruch zu tun, wo man mit dem eigentlichen Produkt hin möchte. Das führt dazu, dass auch die Gärkeller und Arbeitsräume gestalten und unverkennbare Orte geschaffen werden, genau so, wie auch Spitzenweine sein sollten: Unverkennbar und erstklassig. Der neue Gärkeller des Weinguts Elena Walch in Tramin des Architekten David Stuflesser (2018) zeigt, wie aus einem eher kleinen, mitten im Ort gelegenen Weinkeller eine schöne Gartensituation entstehen kann. Der funktionale Ablauf für die Weinproduktion wurde optimiert und gleichzeitig für den Besucher inszeniert. Hier gehen Gestaltung und Funktionalität Hand in Hand. Die Produktion von Spitzenwein ist nicht nur eine Angelegenheit der reinen Weinherstellung. Hohe qualitative Ambitionen in der Weinherstellung werden durch gute Architektur unterstützt. Auch bei engen Platzverhältnissen wurde hier einen schönen Gang durch den gesamten Betrieb entwickelt. Die Grösse der Anlage ist weniger wichtig, als die Klarheit der Eingriffe und das authentische Erlebnis für den Gast.

Gewinner Preis Bauen für den Tourismus und die Arbeitswelt: Arch. David Maria Stuflesser, Neuer Gärkeller für die Kellerei Elena Walch (Foto: René Riller)

Öffentliche Gebäude

Der Kindergarten in Unterolang (2017) von feld72 Architekten schafft durch seine städtebauliche Orientierung nicht nur einen beruhigten Hofraum, sondern stärkt durch seine räumlichen Verknüpfungen den Schulbezirk und öffentlichen Räume um die Kirche. Die städtebaulich gelungene Lösung komplettiert das Zentrum des Ortes und stärkt diesen zu einem klaren Schwerpunkt des Ortes. Die Messner Architekten entwarfen neue Häuser für den Weihnachtsmarkt (2015) für in Ritten. Das erstaunliche bei diesen Bauten ist, dass die Architekten es geschafft haben, aus einer stark klischierten Aufgabenstellung echte Qualitäten zu generieren. Die neue Gebäude sind eher zeltartig, besitzen eine eigene Ausstrahlung und geben dem gesamten Markt als Ensemble einen eigenen stimmigen Charakter. Selbst die Beleuchtung ist integriert und verzaubert den Ort mit einer stimmigen, weihnachtlichen Atmosphäre.

Gewinner Preis Öffentlicher Bau: feld72 Architekten, Kindergarten Niederolang (Foto: Hertha Hurnaus)

Gutes Wohnen ist kein Privileg

Die Pedevilla Architekten entwarfen mit dem Haus in Mühlen in Taufers (2014) ein wunderbares Haus in einem Dorf, dass nicht mehr sein möchte als ein wunderbares Haus. Architektur muss nicht auffallen und extravagant sein, sondern gut proportionierte Räume, eine schöne Haltung innerhalb des Dorfes und mit einer guten Materialisierung. Architektur muss nicht teuer sein. Architektur ist gezielte Gedankenarbeit, schafft gute Räume und ordnet einen Ort städtebaulich.

Gewinner Architekturpreis Südtirol 2019: Pedevilla Architects, Haus am Mühlbach. (Foto: Perbellini)

Konstruieren auf Konstruiertem

Der Architekt Markus Scherer entwirft mit dem Infopoint BBT der Festung Franzenfeste (2015) einen weiteren Höhepunkt in der langjährigen Entwicklung des Geländes. Die Komplexität des Baus schafft einen gelungen Bezug zur bestehenden Festung und repariert die in den Jahrhunderten entstanden Schäden auf moderne Art und Weise. Markus Scherer benutzt die entstandenen Leerräume virtuos um seine neuen Funktionen hier unterzubringen. Die Verwendung von Stahl schafft einen modernen Kontrast zum massiven Stein des Altbaus, doch wird dieser leicht und geleichzeitig massiv eingesetzt. Entstanden ist eine eindrückliche Anlage von hoher architektonischer und räumlicher Qualität.

Gewinner Preis Bauen im Altbestand: Arch. Markus Scherer, Ausbau Festung Franzensfeste (Foto: Alessandra Chemollo)

Gute Projekte schaffen öffentliche Räume

Die Architekten können noch so gut und engagiert sein, wenn sie kein Vertrauen von ihren Auftraggebern und Bauherren haben, können sie keine innovativen und spezifischen Lösungen entwickeln. Die entstandenen Bauten sind aber nicht in allen Teilen konzeptionell streng durchgestaltet. Dies führt teilweise zu einem Verlust einer architektonischen Stringenz, schafft aber im Gegenzug Raum, dass die Bauten auch breit angenommen werden und sich vielfältig mit dem Ort verschränken. Persönliches Engagement von Seiten der Bauherren und der Architekten war immer zu spüren. Dies führt immer zu klaren Bezügen zum öffentlichen Raum und zur Landschaft.

Derartige Strategien funktionieren auch im Ausland. Der Entwurf von Stanislao Fierro für das Centro formazione in Baza in Spanien (2016) ist ein gelungenes Werk eines sehr talentierten und erfahrenen Architekten. Die gelungene Verbindung und Wiederbelebung von Raum und Ort schafft aus einer schwierigen Situation eine klare, klassische Lösung. Ebenfalls war das von feld72 entworfene Haus am Park in Wien (2018) mit seinen verschiedenen öffentlichen Orten und Qualitäten sehr ansprechend und in ihrem sozialen Bewusstsein und Engagement vorbildlich. Vielleicht zeigen diese beiden Projekte auch einen Weg in die Zukunft einer gesellschaftlich relevanten Architektur, welche öffentliche Orte schafft, zusammen mit dem Bauherren Neues wagt und gesellschaftlich relevant ist.

Gewinner Preis Export: Arch. Stanislao Fierro, Bildungszentrum Baza (Foto: Fernando Alda)

Im Südtirol hat sich keine eigentliche Schule etabliert. Die Vielfalt der möglichen Hintergründe der Architekten schafft eine erstaunlich einheitliche architektonische Kultur mit einer grossen gedanklichen Agilität und entwerferischem Engagement. Das Verbindende ist, dass zusammen mit den Bauherren neuen Lösungen gesucht werden, um spezifische und intelligente Bauwerke zu entwickeln. Dadurch schaffen die Architekten sowohl gesellschaftliche wie auch öffentliche Relevanz und schlussendlich Baukultur.

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